Page 15 - Unsere Brücke / Juni 2024
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die uns im Weg stehen und durch den Glauben verschoben werden können.1 Daher muss
es uns ein Anliegen sein, dass wir diesen Glauben nicht nur als eine Anhäufung von Moralverboten darstel- len, sondern ihn als eine Einladung zum guten Leben anbieten.
Wir dürfen auch selbst nicht die Freude des Evangeliums verlieren, denn mit ihr steht und fällt das Christsein. Die momentane Situation der Kirche mag zwar die Stimmung trüben, aber sie kann helfen, einen Blick auf den Anfang des Christentums zu werfen. Wenn wir zum Bei- spiel einen der paulinischen Briefe lesen, gehen wir immer davon aus, dass diese für eine riesige Gemeinde geschrieben wurden und es daher die Natur des Christentums sei, eine Majorität in der Gesellschaft zu sein. Wenn wir uns aber in der heutigen Türkei oder in Griechenland die Gemeinden ansehen, an die die Briefe adressiert waren, sehen wir, dass diese nicht viel mehr als hundert Mitglieder umfassten. Die finan- zielle Situation der Kirche und der immer größer werdende Personal- mangel sowohl bei den Priestern als auch bei den hauptamtlichen Laien werden das Gesicht der Kirche verändern, aber der Kern der Kirche ist eben nicht die Form oder die Größe der Struktur, sondern die Botschaft, die diese trägt. Daher sind die wahren Reformer der Kirche auch nie diejenigen gewesen, die sich für strukturelle oder hierarchische Verän- derungen eingesetzt haben, sondern die Heiligen, die mit ihrem Leben und Wirken das Reich Gottes auf Erden verkündeten.2 Auch heute ist ein jeder von uns angehalten, auf seine eigene Art und Weise, das Reich Gottes zu verkündigen und so nach der Heiligkeit zu streben.
1 Ratzinger, Joseph, Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit; ein Gespräch mit Peter Seewald – Stuttgart, 2000.
2 Ratzinger, Joseph, Salz der Erde. Christentum und Katholische Kirche an der Jahrtausendwende; ein Gespräch mit Peter Seewald – Stuttgart, 1997.
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