Page 14 - Unsere Brücke Dezember 2021
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 gefolgt, weil sie Sehnsucht hatten, zu sehen, wo er wohnt, wo er zu Hause ist. Und sie blieben an jenem Tag bei Jesus. Dieses „Bei-Ihm-Sein“ ist mehr als eine Verortung, es zeigt und lehrt auch die Art und Weise, wie Jesus gelebt hat, was seine geistlichen Quellen waren, wie er auf Menschen zugegangen ist, wie er
für andere da war. Das „Bei-Ihm-sein“ ist deshalb die Grundlage der Freundschaft mit Jesus Christus, zu der wir als Getaufte berufen sind. Im Gebet, im Hören seiner Botschaft, im Tun seines Willens,
im Teilen des Glaubens mit anderen erfahren und vertiefen wir diese Freundschaft. So kann eine Ver- bundenheit, eine Vertrautheit mit Jesus entstehen, die uns prägt und uns zu einer Haltung der Liebe
befähigt, die uns Christus ähnlich macht.
Menschen, die ihr Leben ganz bejahen und dankbar gestalten und in eine persönliche Freundschaft mit Jesus Christus hineingewachsen sind, drängt es schließlich dieses Geschenk mit anderen zu teilen. In der bereits erwähnten Berufungserzählung ist
es Andreas, der seinem Bruder Simon von Jesus erzählt und dabei auch das Bekenntnis ablegt, dass er in Jesus den Messias gefunden hat.
Von der Liebe Gottes Zeugnis zu geben, ist in jeder Lebensform und Lebensaufgabe möglich. JedeR ist eine unersetzbare Botschaft Gottes und schenkt auf seine/ihre Weise der Welt ein persönliches Zeugnis dieser Liebe Gottes. P. Maureder fasst es so zusam-
men: „Als Berufene/r im christlichen Sinn lebt, wer seinen Alltag in Freundschaft mit Christus gestal- tet und sein Leben in dieser Welt als großherzige
Antwort auf das liebende Tun Gottes versteht.“ 3
Möge uns das gelingen.
1 Maureder, Josef, Wir kommen, wohin wir schauen. Berufung leben heute (Innsbruck: Tyrolia-Verlag, 2004) 13.
2 ebd. 13. 3 ebd. 15.
   12
“ Was verstehst du unter Berufung?
Bei mir geschah es als junger Erwach­ sener im Jahr 1987. Nachdem ich die HTL abgeschlossen hatte, fuhr ich mit einer Jugendgruppe nach Taizé. In dieser Woche spürte ich einen Ruf in mir und mir wurde klar, dass es mehr geben muss als das, was ich gesehen oder gelernt habe. Danach habe ich mich für Gott geöffnet und es hat ein Feuer in mir gebrannt, sodass ich kurze Zeit darauf ins Priesterseminar einge­ treten bin. Nach fünf Jahren stellte ich aber fest, dass die zölibatäre Lebensart nicht die meine ist, und bin aus dem Seminar ausgetreten.
Meine zweite Berufung war im Jahr 1989 in Berlin. Dort habe ich in meinem Freisemester den Mauerfall persönlich miterlebt, der einen großen Eindruck auf mich gemacht hat. Ich habe dort fast ein Jahr lang in der Suppenküche der Schwestern von Mutter Theresa mitge­ arbeitet. In dieser Zeit habe ich heraus­ gefunden, dass ich zu den armen Men­ schen einen guten Draht habe und mir diese Arbeit liegt. Für mein Engagement wurde ich auch entsprechend von den Menschen wertgeschätzt. Nun kann ich dank meiner Zeit in Berlin sagen, dass ich in der Obdachlosenseelsorge meine Berufung gefunden habe.
Helmut Eder
(Obdachlosenseelsorger in Linz)

















































































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